Im vergangenen Jahr stellte ich durch meine Arbeit in der Lykia-Lodge fest, welch Potenzial an diesem einzigartigen Ort steckt. Nicht nur aufgrund meiner türkischen Wurzeln, vor allem durch die Möglichkeit viele Menschen ein Stück ihres Weges begleiten, vielleicht auch inspirieren zu dürfen, war für mich schnell klar: Hier möchte ich länger verweilen. Ich begegne hier nicht nur wunderbaren Menschen, sondern tauche immer tiefer in die türkische Kultur ein. Besonders spannend finde ich, wie in verschiedenen Kulturen mit Emotionen wie Angst umgegangen wird.
In der Türkei wird Angst nicht immer offen ausgesprochen – aber sie ist da, wie überall. Gleichzeitig habe ich hier eine große Alltagsweisheit und Gelassenheit erlebt, die aus jahrhundertealten Sprichwörtern und Traditionen erwächst. Eines der bekanntesten türkischen Sprichwörter zum Thema Angst lautet:
„Korkunun ecele faydası yoktur.“
„Die Angst nützt dem Tod nichts.“
Ein Sprichwort, das uns daran erinnert: Angst hält nicht auf, was ohnehin kommen soll – aber sie kann verhindern, dass wir wirklich leben.
Gäbe es Angst nicht, hätten wir als Menschheit wahrscheinlich nicht überlebt. Angst, eine unserer Grundemotionen, diente schon immer unserer Gesundheit und unserem Überleben. Die Angst lässt uns vorsichtig eine Straße überqueren, und sollte ein Auto auf uns zurasen, mobilisieren wir unsere Energie, um entsprechend reagieren zu können. In der Dunkelheit, um z. B. nicht zu stolpern oder uns zu stoßen, bewegen wir uns vorsichtiger. Wir halten für gewöhnlich eher Abstand zu einer ungesicherten Klippe, um nicht hinunter zu stürzen. Mit Feuer gehen wir respektvoll um, damit wir weder uns oder unserer Umgebung schaden. Wir dürfen also feststellen: Angst meint es gut mit uns und möchte, dass wir gesund und am Leben bleiben.
Persönliche Lebensumstände, Prägungen und bestimmte Erfahrungen können aber dafür sorgen, dass Ängste uns in unserer Lebensqualität einschränken. Wenn Ängste überhand nehmen, tauchen sie in Situationen auf, in denen sie eigentlich überflüssig sind. Auch kann sich die Intensität vergrößern, während wir immer sensibler auf angst-auslösende Situationen reagieren. Die Schutzfunktion beginnt zur Last zu werden und taucht unkontrolliert immer wieder auf.
Ein weiteres, inspirierendes, türkisches Sprichwort möchte ich an dieser Stelle erwähnen: „Hayırlısı“. Übersetzen könnte man dieses mit „Gott weiß, wofür es gut ist“ oder „Möge das geschehen, was dem höchsten Wohl dient“. Befindet man sich in schwierigen Situationen oder geschehen unerwartete Dinge, kann man sich darauf besinnen, dass hinter Allem bestimmt ein höherer Sinn steckt.